ZUGVÖGEL
UND FAHRZEUGE
Inhaltliche
Anmerkungen zur skulpturalen Gestaltung der Verkehrsinsel BRP-Rotax
Klara
Kohler – Franz Frauenlob
Planskizze:
Franz Frauenlob
I.
GESTALTUNGSKRITERIEN
Der
Entwurf gründet wesentlich auf drei Aspekte:
Einerseits,
formal auf die Verwendung eines technoiden Formenvokabulars, wie wir
es aus dem modernen Design, insbesondere aus dem Bereich des
Fahrzeugbaus und der Flugzeugtechnik bereits kennen.
Der
zweite grundlegende Aspekt der Entwurfsarbeit bestand in der
Verwendung von Begrifflichkeiten aus dem Leitbild der Fa. BRP-Rotax,
wie sie in der Auslobung des Wettbewerbes vermerkt waren.
Der
dritte Aspekt betrifft die formale Einbettung der Skulptur in ihr
unmittelbares Umfeld.
Die
aufgrund dieser konzeptuellen Voraussetzungen entwickelte Skulptur,
besteht nun aus einer 'schwebenden', ellipsoiden Plattform (600 x 208
cm, Mat. Beton, Oberfläche geglättet), auf die ein Betonsockel (400
x 74 x 33 cm) aufgesetzt ist. Der Sockel weist eine dynamische Form
auf und fällt längs nach hinten auf eine Höhe von 33 cm ab.
In
der Draufsicht verjüngt sich die Form nach vorne hin kontinuierlich
und vollendet sich leicht bogenförmig auf 6 cm Breite.
Das
Sockelelement ist längs an beiden Seiten mit einem Schriftband
besetzt (Schriftgröße 10 cm)
Die
hierfür verwendeten Begriffe lauten:
ADRENALIN
HOMOTECHNIKUS
WELTWEIT
MOTOREN ULTRALEICHT
DYNAMISCHE
PERFORMANCE ANTRIEBSYSTEM
PROAKTIVPOWER
An
der Oberseite des Sockels ist ein keilförmiger Grat eingelassen
(Mat.: Chrom-Nickel Stahl, Länge 265 cm,
Materialstärke
10 mm, von 0 – 12 cm ansteigend), an dem das sogenannte Steigrohr
(D=28 mm) im Winkel von 110°angebracht ist. Das Rohr erreicht eine
Höhe von 3 Meter.
Das
Stahlelement betont den dynamischen Charakter der Skulptur und nimmt
gleichzeitig die elektrische Verrohrung für das oben aufgesetzte
Lichtobjekt auf.
(Der
Begriff 'Homotechnikus' entstammt als einziger nicht dem
Firmenleitbild).
II. BEDEUTUNGSEBENEN
Die
formale Gestaltung und ihr Bezug zur Technik bietet einen Verweis auf
technikhistorische Bedeutungsebenen,die, wie wir wissen immer auch
Erkenntnisse über gesellschaftliche Entwicklungen liefern. Insofern
nämlich das technologische Veränderungen stets wesentlich Anteil an
Veränderungsprozeßen haben und hatten, deren Wirkungen sich von den
Produktionsverhältnissen bis zu den Lebensbedingungen des einzelnen
Individuums zeigen.
So
gibt uns heute beispielsweise die Form und Oberfläche von Werkzeugen
und Gerätenschaften und nicht zuletzt auch von künstlerischen
Gegenständen hinlänglich Auskunft über die Lebensbedingungen der
Menschen vergangener Epochen.
Dies
gilt auch und besonders für die Verwendung von Begrifflichkeiten in
einem künstlerischen Werk.
Begriffliche
Botschaften scheinen auf den ersten Blick direkter zugänglich zu
sein. Bei genauerem Hinsehen wird man jedoch auch hier auf
Vielschichtigkeiten treffen,
Die
für die Skulptur verwendeten Begriffe haben abseits ihrer Bedeutung
für das Leitbild der Firma ein durchaus komplexes assoziatives
Umfeld,
Man
braucht wie gesagt die Begriffe nur leicht abzuklopfen und man wird
Gesprächstoff finden, insbesondere dann, wenn man das jeweilige
Gegenbild zum Begriff aufsucht.
Wir
leben in einer Gesellschaft in der depressive Stimmungen und
Müdigkeit zunehmend Thema sind und daher beanspruchen
ANTRIEBSYSTEME
immer größere Bedeutung, ebenso wie der Verweis auf ADRENALIN.
In
der Verknüpfung der Begriffe können sich wiederum interessante
Assoziationen ergeben.
So
hat das
ULTRALEICHTE Fahrzeug,
als Idealbild zeitgenössischer Mobilität, sein Gegenbild in Gestalt
der Traktoren. Diese haben seit ihrem Erscheinen in der agrarischen
Arbeitswelt eine beträchtliche Zunahme an Gewicht erfahren und
bearbeiten heute als software gestützte Agrarpanzer den Acker.
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die moderne
Fahrzeugindustrie im Kampf um maximale Effizienz und
Leistungsfähigkeit.
PROAKTIVPOWER
oder der
Impuls schneller, weiter, höher zu gelangen.
Hinter
all diesen Themen und Gegenständen steht letztlich der HOMOTECHNIKUS
(der
römische Bruder des Prometheus), der moderne Ingenieur,
der
im strengen Sinne nicht mehr arbeitet, sondern die Dinge kraft seiner
schöpferischen Potenz, als planvoller Geist, spielerisch
hervorbringt. Er trägt als sein Gegenbild in sich den Homo ludens,
den zeitgenössischen Menschen, der sich spielend erprobt und Spass
haben möchte. Und so ergibt sich diese problematische, aber dennoch
faszinierende Doppelung, daß der HOMOTECHNIKUS
in
den Fabriken arbeitet und produziert um jene Produkte der
Selbstverwirklichung bereitzustellen, die er in seiner Freizeit
genießt.
Im
Überdenken, der in die Skulptur eingetragenen Begriffe und deren
Umfeld, reift die Einsicht in größere Zusammenhänge und so läßt
sich sagen, daß die Begriffe über ihre Bedeutung für das Leitbild
eines Industriebetriebes hinaus Aufschluß geben, über Richtlinien
und Wertsetzungen unseres Wirtschaftens überhaupt.
'Homotechnikus'
Kreideschnitt – Franz Kohler 1972
III. ERWEITERUNG
DES LEITBILDES
Das
Wesen künstlerischer Arbeit liegt unserer Auffassung nach in dem
Versuch, die gegebenen Verhältnisse als solche darzustellen, um
diese im entscheidenden Moment zu transzendieren. Freilich kann
dieser Prozeß lediglich auf einer bewußtseinsmäßigen,
symbolischen und letztlich spielerischen Ebene stattfinden.
Wie
in der Objektbeschreibung bereits dargestellt, ist dem sogenannten
Steigrohr ein Lichtobjekt aufgesetzt, eine freie, dreidimensionale
Geste, die die Assoziation eines Flugobjektes oder eines Vogels
hervorrufen kann.
Tatsächlich
erschien uns der Begriff des 'Zugvogels' für diese Arbeit
wesentlich, im Sinne von
LEICHTIGKEIT,
GRENZÜBERSCHREITENDE
MOBILITÄT
und
VERLETZLICHKEIT.
Die
Erweiterung des Leitbildes um jenen letzten, alles verändernden
Begriff der Verletzlichkeit erschien uns in der Auseinandersetzung
als der 'geheime Auftrag', dessen Realisation und Übersetzung in die
Wirklichkeit des Produzierens, auch an uns selbst, die höchsten
Anforderungen stellt.
Fotos:
Klara Kohler