Donnerstag, 30. Januar 2020

Zugvögel und Fahrzeuge




ZUGVÖGEL UND FAHRZEUGE
Inhaltliche Anmerkungen zur skulpturalen Gestaltung der Verkehrsinsel BRP-Rotax
Klara Kohler – Franz Frauenlob





 

Planskizze: Franz Frauenlob



I. GESTALTUNGSKRITERIEN

Der Entwurf gründet wesentlich auf drei Aspekte:
Einerseits, formal auf die Verwendung eines technoiden Formenvokabulars, wie wir es aus dem modernen Design, insbesondere aus dem Bereich des Fahrzeugbaus und der Flugzeugtechnik bereits kennen.

Der zweite grundlegende Aspekt der Entwurfsarbeit bestand in der Verwendung von Begrifflichkeiten aus dem Leitbild der Fa. BRP-Rotax, wie sie in der Auslobung des Wettbewerbes vermerkt waren.

Der dritte Aspekt betrifft die formale Einbettung der Skulptur in ihr unmittelbares Umfeld.

Die aufgrund dieser konzeptuellen Voraussetzungen entwickelte Skulptur, besteht nun aus einer 'schwebenden', ellipsoiden Plattform (600 x 208 cm, Mat. Beton, Oberfläche geglättet), auf die ein Betonsockel (400 x 74 x 33 cm) aufgesetzt ist. Der Sockel weist eine dynamische Form auf und fällt längs nach hinten auf eine Höhe von 33 cm ab.
In der Draufsicht verjüngt sich die Form nach vorne hin kontinuierlich und vollendet sich leicht bogenförmig auf 6 cm Breite.
Das Sockelelement ist längs an beiden Seiten mit einem Schriftband besetzt (Schriftgröße 10 cm)
Die hierfür verwendeten Begriffe lauten:


ADRENALIN HOMOTECHNIKUS WELTWEIT MOTOREN ULTRALEICHT
DYNAMISCHE PERFORMANCE ANTRIEBSYSTEM PROAKTIVPOWER


An der Oberseite des Sockels ist ein keilförmiger Grat eingelassen (Mat.: Chrom-Nickel Stahl, Länge 265 cm,
Materialstärke 10 mm, von 0 – 12 cm ansteigend), an dem das sogenannte Steigrohr (D=28 mm) im Winkel von 110°angebracht ist. Das Rohr erreicht eine Höhe von 3 Meter.
Das Stahlelement betont den dynamischen Charakter der Skulptur und nimmt gleichzeitig die elektrische Verrohrung für das oben aufgesetzte Lichtobjekt auf.


(Der Begriff 'Homotechnikus' entstammt als einziger nicht dem Firmenleitbild).







II. BEDEUTUNGSEBENEN

Die formale Gestaltung und ihr Bezug zur Technik bietet einen Verweis auf technikhistorische Bedeutungsebenen,die, wie wir wissen immer auch Erkenntnisse über gesellschaftliche Entwicklungen liefern. Insofern nämlich das technologische Veränderungen stets wesentlich Anteil an Veränderungsprozeßen haben und hatten, deren Wirkungen sich von den Produktionsverhältnissen bis zu den Lebensbedingungen des einzelnen Individuums zeigen.
So gibt uns heute beispielsweise die Form und Oberfläche von Werkzeugen und Gerätenschaften und nicht zuletzt auch von künstlerischen Gegenständen hinlänglich Auskunft über die Lebensbedingungen der Menschen vergangener Epochen.

Dies gilt auch und besonders für die Verwendung von Begrifflichkeiten in einem künstlerischen Werk.
Begriffliche Botschaften scheinen auf den ersten Blick direkter zugänglich zu sein. Bei genauerem Hinsehen wird man jedoch auch hier auf Vielschichtigkeiten treffen,
Die für die Skulptur verwendeten Begriffe haben abseits ihrer Bedeutung für das Leitbild der Firma ein durchaus komplexes assoziatives Umfeld, Man braucht wie gesagt die Begriffe nur leicht abzuklopfen und man wird Gesprächstoff finden, insbesondere dann, wenn man das jeweilige Gegenbild zum Begriff aufsucht.

Wir leben in einer Gesellschaft in der depressive Stimmungen und Müdigkeit zunehmend Thema sind und daher beanspruchen ANTRIEBSYSTEME immer größere Bedeutung, ebenso wie der Verweis auf ADRENALIN.
In der Verknüpfung der Begriffe können sich wiederum interessante Assoziationen ergeben.
So hat das ULTRALEICHTE Fahrzeug, als Idealbild zeitgenössischer Mobilität, sein Gegenbild in Gestalt der Traktoren. Diese haben seit ihrem Erscheinen in der agrarischen Arbeitswelt eine beträchtliche Zunahme an Gewicht erfahren und bearbeiten heute als software gestützte Agrarpanzer den Acker. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die moderne Fahrzeugindustrie im Kampf um maximale Effizienz und Leistungsfähigkeit.
PROAKTIVPOWER oder der Impuls schneller, weiter, höher zu gelangen.








Hinter all diesen Themen und Gegenständen steht letztlich der HOMOTECHNIKUS (der römische Bruder des Prometheus), der moderne Ingenieur,
der im strengen Sinne nicht mehr arbeitet, sondern die Dinge kraft seiner schöpferischen Potenz, als planvoller Geist, spielerisch hervorbringt. Er trägt als sein Gegenbild in sich den Homo ludens, den zeitgenössischen Menschen, der sich spielend erprobt und Spass haben möchte. Und so ergibt sich diese problematische, aber dennoch faszinierende Doppelung, daß der HOMOTECHNIKUS in den Fabriken arbeitet und produziert um jene Produkte der Selbstverwirklichung bereitzustellen, die er in seiner Freizeit genießt.

Im Überdenken, der in die Skulptur eingetragenen Begriffe und deren Umfeld, reift die Einsicht in größere Zusammenhänge und so läßt sich sagen, daß die Begriffe über ihre Bedeutung für das Leitbild eines Industriebetriebes hinaus Aufschluß geben, über Richtlinien und Wertsetzungen unseres Wirtschaftens überhaupt.



'Homotechnikus' Kreideschnitt – Franz Kohler 1972



III. ERWEITERUNG DES LEITBILDES

Das Wesen künstlerischer Arbeit liegt unserer Auffassung nach in dem Versuch, die gegebenen Verhältnisse als solche darzustellen, um diese im entscheidenden Moment zu transzendieren. Freilich kann dieser Prozeß lediglich auf einer bewußtseinsmäßigen, symbolischen und letztlich spielerischen Ebene stattfinden.
Wie in der Objektbeschreibung bereits dargestellt, ist dem sogenannten Steigrohr ein Lichtobjekt aufgesetzt, eine freie, dreidimensionale Geste, die die Assoziation eines Flugobjektes oder eines Vogels hervorrufen kann.
Tatsächlich erschien uns der Begriff des 'Zugvogels' für diese Arbeit wesentlich, im Sinne von LEICHTIGKEIT, GRENZÜBERSCHREITENDE MOBILITÄT und VERLETZLICHKEIT.
Die Erweiterung des Leitbildes um jenen letzten, alles verändernden Begriff der Verletzlichkeit erschien uns in der Auseinandersetzung als der 'geheime Auftrag', dessen Realisation und Übersetzung in die Wirklichkeit des Produzierens, auch an uns selbst, die höchsten Anforderungen stellt.







 

Fotos: Klara Kohler



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